Brigitta Malche

Geb. 1938, Mag.art, östereichische Malerin, Kuratorin, Autorin

Geb. 1938, Mag.art, östereichische Malerin, Kuratorin, Autorin


ÜBER SERGIUS PAUSER, MEINEN LEHRER

Die Meisterschule Sergius Pauser war meine erste Heimat, mit der ich mich vollauf identifizieren konnte. Alle Verwicklungen, wie sie durch Zeit – es war Kriegs- und Nachkriegszeit – Erziehung und Schule auf den jungen Menschen einwirken, waren abgefallen, und ich befand mich unter Meinesgleichen. Dies erzeugte ein Glücksgefühl, das ich wegen seiner Eindringlichkeit niemals vergessen habe. Ich fühlte mich frei und verstanden. Im Schutze einer Atmosphäre, die der Wärme von Treibhäusern gleicht, konnte ich zu Entdeckungsreisen starten, zu erster Entfaltung und natürlicher Selbstfindung. Ganz sicher hatte dies mit der Person Pausers zu tun, die das Individuelle achtete und behutsam wachsen ließ. Die wenigen Schüler hatten intensiven Kontakt miteinander, die Auseinandersetzung mit dem jeweils fremden Temperament erwies sich als fruchtbar und hatte darüber hinaus tiefe Freundschaften entstehen lassen – eine Verbundenheit, die noch immer andauert, obwohl das Leben die Kontakte unterbrach und die Entwicklungswege recht gegensätzlich verliefen.

Die Sprache der Schüler war von Anfang an unterschiedlich, wurde aber von Pauser sofort als Wesensmerkmal begriffen und in der Eigendynamik gefördert. Trotz Respekt vor dieser „Besonderheit“ gab es eine Maxime, der sich jeder von uns zu beugen hatte, nämlich den Anspruch auf Qualität. Der Anspruch war absolut und überindividuell.

Dieser Qualitätsbegriff gab Anlaß zu vielfältigen Diskussionen, der die Klasse in Atem hielt und hitzige Debatten auslöste. Durch ständiges Vergleichen unserer Arbeit wurde die Wertempfindung geschult, und vom Abstraktum ins sichtbare Erlebnis übergeführt.

Für Pauser schien es wichtig, daß der Schüler die Qualität in der eigenen Arbeit erkennen konnte, ein gutes Bild nicht für ein schlechtes hielt, und umgekehrt. Vor allem Selbstkritik, das Erkennen eigener Schwäche und oberflächlicher Mattigkeit war ein wesentlicher Faktor seiner Pädagogik. Die Führung artete aber niemals in Bevormundung aus, Pauser als Maler blieb stets im Hintergrund, ja er forderte uns sogar zum Widerspruch und stachelte uns auf, ihn zu hassen. Dieser Appell hat mich damals tief beeindruckt, denn er stieß uns dadurch in die Freiheit.

Berühmt und manchmal gefürchtet waren die „Donnerstage“, an denen wir unsere Wochenarbeit vorlegen mußten. Sie lagen da auf dem Podium und waren frei zur Diskussion. Oft fielen harte Worte, auch von seiten der Kollegen, aber es gab auch viel Lob. Die Donnerstage schildern recht eigentlich das Klima, das die Schule Pauser auszeichnete: man lernte von und durch Kollegen. Wenn einer von uns etwas „begriffen“ hatte, war das beinahe ein Fest für alle anderen. So wurden besonders gute Aktzeichnungen untereinander verborgt, damit man allein für einige Tage die Qualität dieser Zeichnung studieren konnte. Pausers Traum war der Ankauf exzellenter Schülerarbeiten für eine Klassensammlung zu Studienzwecken. Leider konnte er diese Idee nicht verwirklichen. So hingen auch Reproduktionen von Holbein-Zeichnungen im Atelier zur Prüfung und zum Vergleich des eigenen Standorts. Die Beherrschung von Technik und der bewußte Einsatz bildnerischer Mittel erschienen unerläßlich, um „mit einem Nichts an Mitteln alles zu machen“. Das „Nichts“ entsprang für Pauser jedoch nur aus der Fülle von Erkenntnissen.

Oft stand ich mit heißen Augen vor der Holbeinschen Vorlage und sog das entmaterialisierte Handwerk in mich hinein. Allmählich begann in uns das Qualitätsempfinden zu wachsen. Pauser hat es immer verstanden den optischen Hunger zu wecken. „Nur das beste Vorbild ist gut genug zum Lernen“ – denn nur wirkliches Schauen, seelisches Schauen, führt zur Erkenntnis und zur Umsetzung ins Bildhafte.

Die Erziehung des Auges war ihm ein großes Anliegen. Er konnte recht streng werden in seinen Ansprüchen, wenn ein Schüler einmal begriffen hatte. Dann gab es kein Zurück mehr. Verhaßt war ihm, wenn wir es wagten, uns auf das Talent zu verlassen. Solche Arbeiten tat er als „gekonnte Fummelei“ ab. Auch konnte sein Tonfall sarkastisch werden, und manchmal gab´s Empfehlungen, doch als Schuhputzer in der Opernpassage zu arbeiten oder Staubsauger zu vertreten, statt Kunst machen zu wollen. So beteilt, schwiegen wir alle betroffen, denn jeder von uns hatte einmal die Mensa dem Atelier vorgezogen, und mit gefummelten Zeichnungen versucht, Fleiß vorzutäuschen. Pauser stieß dann kleine, unmutige, nicht verbalisierte Laute aus, die nicht schwer zu verstehen waren, da sie recht eindeutig seine Enttäuschung zum Ausdruck brachten. Unsere Verstocktheit wurde auch attackiert mit der nüchternen Feststellung, anderen Schülern den Platz wegzusitzen. Seinen berechtigten Ärger vergaß er jedoch sofort, wenn er eine gute Arbeit sah.

Die Auseinandersetzung mit Werken großer Meister und das Ringen um eigene Qualitäten unterschied uns recht bald von allen anderen Schülern der Akademie. Die Schule Pauser galt als elitär, worauf wir natürlich stolz waren. Die Schülerzahl, wir waren 15 bis höchstens 20, unterstrich diesen Ruf. Die kleine Schar fand sich noch aufgeteilt in drei Ateliers, in eine Zeichen-, in eine Malklasse und in eine Klasse für Alt-Meister-Technik. „Was wollen Sie eigentlich – Sie haben ein im Winter geheiztes Atelier, Fließwasser heiß und kalt, und ein bezahltes Modell – arbeiten Sie!“

Der Einsatz der Schüler wurde belohnt durch den Einsatz des Lehrers. Am Ende des Jahres gab es jede Menge Preise und Auszeichnungen für die geleistete Arbeit. Überhaupt wurde mit Lob nicht gespart, wenn es berechtigt war. Das ermunterte auch die Schüler, sich untereinander zu loben und zu bewundern – man fühlte sich getragen von den Kollegen und konnte wachsen.

Als ich in der Schule Pauser begann, erhielt ich drei Monate lang keine Korrektur, keinerlei Hilfestellung. Pauser kam, schaute und ging an die nächste Staffelei. Aber er verhielt sich wachsam, ich wurde nicht übersehen. Es war um Weihnachten, als ich vom Aktsaal kam und meine Studien vorlegte: Pauser schwieg lange und sagte plötzlich erleichtert: „Na also, jetzt hat sie´s begriffen“ – er deutete auf eine einzelne Linie im Akt – „diese Linie hat Atem, sie vibriert und ist voll Farbe. Jetzt können wir beginnen.“

Am Ende des Jahres wühlte er in meinen Zeichnungen, wortlos und konzentriert. Er stellte eine kleine Serie zusammen und sagte: „Ich gebe Ihnen den Meisterschulpreis, legen Sie diese Zeichnungen unter Passepartout.“ Die Überraschung war groß. Alle Kollegen wollten meine Arbeiten sehen und gratulierten mir. Eifersucht gab es wenig, eher grundlegende Meinungsverschiedenheiten. Die offene Kritik an den Donnerstagen half Aggressionen auszuagieren, unter Kontrolle zu halten, auch Urteile zu ertragen.

In der Malklasse wurstelte ich dann weiter, die Ölfarbe erwies sich als mühsam und schwer zugänglich, ich wußte nicht einmal was Keile waren. Die älteren Kollegen bildeten eine Mauer des Schweigens. War meine Verzweiflung besonders groß, gaben sie Korrekturen und malten mir ins Bild. Dieses Mitleid verschwand, als ich eines Tages mit „Pauserpinseln“ malen durfte. Pauser brachte mir seine Pinsel, weil er meine unbrauchbar fand. Gleichzeitig erhielt ich auch seine Spachtel für wenige Stunden. Von diesem Moment an wurde ich von den Kollegen ernst genommen – es malte mir keiner mehr ins Bild. Mit Messensee teilte ich dann die Palette und lernte von seinen Erfahrungen. Er hatte schon damals seinen eigenen Stil und ließ sich durch niemanden beirren. Plahl war gerade aus Amerika zurückgekommen und malte abstrakt. Wir anderen versuchten uns an Akten, Köpfen und Stilleben. Herzig, Kocherscheit, Wukounig und Dachauer arbeiteten im Turmatelier. In der Altmeisterklasse malte ich neben Fuchs, Korab und Aratym. Jetzt noch finden wir uns immer wieder in Ausstellungen, Vernissagen und Messen, im Kaffehaus oder im Atelier. Wir schicken einander Kataloge, manchmal auch Briefe. Die gemeinsame Studienzeit hat um manche von uns ein festes Band geschlungen, ein Verständnis für eine Entwicklung, die in der Schule Pauser begonnen hatte.

„Machen Sie nie, was Sie können, sondern das, was Sie nicht können!“ Diesen Lehrsatz von Sergius Pauser möchte ich an den Schluß meiner Erinnerungen an ihn stellen – denn er hat mich erst kürzlich heftig betroffen und mir meinen einstigen Lehrer ins Gedächtnis zurückgebracht. Als ich vor einiger Zeit zweieinhalb Jahre in China lebte und in Peking selbst lehren durfte, fand dieses Postulat an die immerwährende künstlerische Suche den denkbar größten Gegensatz zur Kunstauffassung des Fernen Ostens. Dort liegt die Wandlung in der Wiederholung, in der absoluten Unterwerfung unter den Meisterlehrer, der in und durch die totale Kopie überwunden werden muß. Um meinen Schülern Europas Anliegen zu erklären, habe ich Pausers Lehrsatz zitiert und auch mir selbst die Sinndeutung östlicher und westlicher Kunst dadurch erkennbar gemacht.

Ausstellungskatalog Sergius Pauser, Retrospektive. Im Frauenbad, Baden bei Wien, 1986