Hansjörg Vogel


PAUSER ALS HOCHSCHULLEHRER UND VORBILD

Wie beginnen mit dem Suchen in der Erinnerung an eine Zeit, welche schon lange zurückliegt? Was vor allem dient dem Verstehen der Persönlichkeit Sergius Pausers als Künstler, Mensch und Hochschullehrer? Wie kann man persönliches Erleben von dem, was die Allgemeinheit interessiert, trennen? Wie kann man zu Ergebnissen gelangen, die mehr über die zu berichtende Person aussagen, als die offizielle Berichterstattung?

Sergius Pauser war eine auffallende Erscheinung. Groß gewachsen, gut aussehend, sehr attraktiv und männlich wirkend. Sein Verhalten war zurückhaltend, introvertiert, bedacht, bei allem Bemühen um Wissen und Rationalität aber ein unerhört sensibler, verletzbarer Mensch. Wenn man von einer Schwachstelle reden will, so war es eine geradezu rührende Hilflosigkeit dem normalen, täglichen Leben gegenüber und dem, was man jetzt mit Öffentlichkeitsarbeit oder PR bezeichnen würde. Trotz seiner großen Erfolge war er keiner, der von sich eingenommen war und dies aller Welt mitteilen mußte. Im Gegenteil – er war Zweifler, stets ein Suchender: nach Besserem, Schönerem oder nach überzeugenderen Lösungen.

Für uns als Studenten, die durch den langen Krieg gegangen waren und einen unerhörten Nachholbedarf an Information über moderne Kunst hatten, faszinierte vor allem der große Bogen seines künstlerischen Œuvres, sein stupendes Können, das von der Sachlichkeit bis zu den uns besonders beeindruckenden „Traumbildern“ reichte.

Durch sein Studium in München, unter anderem auch im Dörnerschen Institut für Maltechnik und Kunsttheorie, war er es auch, der jenen Schlüssel zur Anwendung der Mischtechnik besaß, den er an uns weitergab und uns damit eine Fülle neuer Möglichkeiten erschloß. Es ist bedauerlich, daß dieses Faktum bisher nicht genügend klar herausgestellt wurde, denn, so wie man mit vollem Recht Albert Paris Gütersloh als den geistigen Vater jener jungen Künstler, welche sich dem Surrealismus verschrieben hatten, bezeichnen kann, muß man Sergius Pauser als den Wiener Künstler ansehen, der die nötigen maltechnischen Voraussetzungen einbrachte, um neue Bereiche der Kunst mit neuen adäquaten Stilmitteln zu erobern.

Seine Meisterschule an der Akademie der bildenden Künste in Wien war räumlich streng geteilt und entsprach damit seinen ausgeprägten Ordnungsprinzipien. Im großen Eckraum arbeiteten die „Spachtler“, das war des Meisters alleinige Domäne. Der zweite große Atelierraum war den „Mischtechnikern“ vorbehalten, dort lag meine Aufgabe als Assistent. Im Anschluß an die Meisterschule lag das persönliche Atelier Sergius Pausers, welches man, nachdem man den Knopf „bitte drehen“ betätigt hatte und nach einem Musterungsblick über den Brillenrand, zu einem persönlichen Gespräch betreten konnte.

Sergius Pauser war wohl einer der ersten Meisterschulleiter, der klar erkannt hatte, daß es nicht seine Aufgabe sein konnte kleine Epigonen zu züchten, sondern der bereit war, seine reiche künstlerische Erfahrung zur Verfügung zu stellen. Aufgabe jedes einzelnen Studenten war es, jene Aspekte auszuwählen, die nur für die eigene Person interessant waren und die wie eine Initialzündung eine neue Entwicklung einleiten konnte.

Seinem Bildungsgrad entsprechend verlangte er auch von den Studenten ein hohes Niveau. Die neue Zeit werde an den Künstler neue, noch nicht vorhersehbare Anforderungen stellen. Nur scheinbar im Gegensatz dazu bestand er darauf, all dies, welches in der grandiosen Entwicklung der abendländischen Kunst erlern- und unterrichtbar war, nicht zu vernachlässigen. Er war ganz überzeugt davon, daß es die Aufgabe jeder Generation war, fußend auf der Jahrhunderte währenden Tradition, der Kunst eine neue Facette hinzuzufügen. Sein großes Anliegen war die Toleranz. Da seine Stärke nicht in der verbalen Diskussion lag, las er aus Büchern ihm wichtig erscheinende Passagen vor, hielt uns an, die Bibliothek zu benützen, verwies auf Doderer, Gütersloh, Mann und viele andere. Uns Mischtechniker ließ er Kopien alter Meister anfertigen und verstand es auch, uns die Augen zu öffnen für die subtile Kraft, welche von der Kontur eines Holbein-Bildnisses ausging, um mit einem scheinbaren Nichts die vollkommene Illusion einer räumlichen Situation hervorzurufen. Gleiches galt auch für die Farbe. Unbestritten hatte sie für ihn den Primat im Bild herzustellen. Da er selbst der souveränste Beherrscher der Farbe war, wobei das Spektrum von hart aufeinanderprallenden, streng abgegrenzten Komplementärfarben bis in die subtilste Verästelung und Harmonie der feinsten Valeurs reichte, konnte er sein reiches Wissen darüber weitergeben.

Er konfrontierte uns mit Spitzenleistungen der Malerei, die einander oftmals diametral gegenüberstanden, und es dauerte einige Zeit, bis wir begriffen hatten, was er damit sagen wollte und was seine Maxime zu sein schien: Jede Art der Kunstausübung ist berechtigt und legitim und niemand ist berufen oder befugt, der Kunst Grenzen zu setzen. Aufgabe des Künstlers scheint es zu sein, in seiner einmaligen, niemals wiederkehrenden Art und Weise zu höchster Qualität oder Vollendung zu streben.

Vielleicht ist es mir gelungen, einiges zum Verstehen dieser so komplexen Persönlichkeit beigetragen zu haben, und warum ich, so ganz unüblich, von meinem Lehrer mit Hochachtung und Stolz berichtet habe und gerne an die vielen, gemeinsam verbrachten Jahre zurückdenken kann.

 

Ausstellungskatalog Sergius Pauser, Retrospektive. Im Frauenbad, Baden bei Wien, 1986