Burghart Schmidt

Burghart Schmidt, geb.1942, deutscher Philosph, Professor für Sprache und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main und für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst in Wien

Burghart Schmidt, geb.1942, deutscher Philosph, Professor für Sprache und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main und für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst in Wien


Melancholische Impressivität. Sergius Pauser als Avantgardist 

Mit einem Werk wie dem von Sergius Pauser  wirft sich seit Jahrzehnten und eigentlich seit Entstehen der Werke dieses Werks die Frage auf nach dem Avantgardeproblem der Kunst in unserem Jahrhundert. Schon Pausers Entscheidung für Motive wie Landschaft, Porträt, Blumen und dem Verwandtes begibt sich ins Außerhalb des Avantgardismuselans (und –elan ist hierbei zu betonen) der Zeit, in der er künstlerisch bekannt wurde. Nicht vielleicht so sehr der Avantgardismus selber, aber dessen Pathos stellte sich während der zwanziger Jahre gegen die Gegenständlichkeit, auch wo mit Gegenständlichkeit gearbeitet wurde (Gegenständlichkeit ist hier in der Gebrauchsweise der Kunstdebatten natural zu verstehen, nicht im philosophisch-logischen Sinn, dem auch das natural Ungegenständliche Gegenstand bleibt von der Position im Vorstellungsakt her.). 

Aber man arbeitete von der Gegenständlichkeit weg zur Ornamentik etwa oder zur Expression oder zur Konstruktion oder zur Traummontage oder  zur Realmontiertheit einer unvorgegebenen Wirklichkeit und so weiter, selbst in der Neuen Sachlichkeit, obwohl sie dem abstraktiven Zug ihrer Zeit entgegenzulaufen versuchte mit Wiedererkennens-Mimesis, und prompt hat man Pauser hier eingerichtet. Aber Landschaft und Porträt, das waren Motive, deren Einführung in die Kunst stets und sofort der Geburt der Neuzeit in der Renaissance zugeschrieben werden, damit allerdings auch per Renaissance bestimmten zum Vorbild wiedergeborenen Phasen der Antike. Die Zuschreibung, um einigermaßen plausibel zu sein, musste dabei das Landschaftliche wie das Porträtistische über bestimmte Mimesis destinieren als die wiedererkennbare Landschaft oder das wiedererkennbare Porträt im Sinn auch außerhalb der Kunst vorliegender natürlicher, den Sinnen gegebener und sich gebender Wirklichkeit des Einzigartigen oder Individuellen.

Denn rein als Motive tauchten Landschaften und menschliche Gesichter überall in der Kunst auf, nicht erst in der Renaissance, bloß bezog sich da ihre Darstellung auf symbolische Gehalte eines Außerhalb wirklicher, sichtbarer Vorlagen, Mimesis richtete sich derart auf Unsichtbares, also fehlte ihr Vergleichlichkeit in den Sinnen, wenn man für solches überhaupt von Mimesis reden will. Mimesis heißt ja schließlich lexikalisch Nachahmen und Nachahmen ist für Ungesehenes schwerlich möglich. Religiös gebundener Kunst half freilich immer die Vision, sie ist aber Unvisionierten nicht nachvollziehbar. Das ans Nachahmen gebundene Wiedererkennen beschränkt sich also auf der Vision Teilhaftige, folglich erzeugt sich dann für der Vision Fremde nur die Mimesis eines Erkennens, nicht die Mimesis eines Wiedererkennens oder wenigstens Wiedererkennbaren, und Überprüfbarkeit bleibt uns. Wegen solcher Schwierigkeiten wurde vorher so tautologisch eine Wiedererkennens-Mimesis betont; denn das war das Neue, was die Renaissance einführte in die Motive der Landschaftlichen und des menschlichen Angesichts, an die Stelle von Stationen des Passionsereignisses etwa symbolisierenden Land/Stadtansichten oder an die Stelle von Apostel und Heilige angebenden Gestalttypen traten toskanische Landschaften oder umbrische oder venetianische oder niederländische und die Gesichtsansichten ganz bestimmter Personen, im Nachahmungsverhältnis allen natürlich Sehenden überprüfbar, ohne vorausgesetzte Visionsgabe. Das meint die Naturalität, die der Neuzeit ein Problem wurde, das am wenigsten mit dem Naturalistischen des Naturalismus verwechselt werden darf. Die von der Renaissance eingesetzte Naturalität ersetzte die Offenbarung als Vorlage der Darstellungsmotivik und führte erst die Mimesis als Mimesis ein, wo sie vorher in Vision eingenäht war und höchstens dem Visionär explosiv aus den Nähten platzte.

Allerdings der Visions-Vorfahre der Mimesis kehrte in etwas nahezu umdrehend-postwendend in die Naturalität zurück, als man in der Renaissance schon wieder vom Platonismus her das mimetische Verhältnis zur vorliegenden Wirklichkeit einschränkte durch Idealbildung. Nicht das Bild der Natur würde in der Naturalität der Künste dargestellt, sondern das Eidos, das im Künstler erregt sei durch die Anschauung der Natur. Damit hatte man zwar Säkularität erreicht, aber die Offenbarung wieder eingelassen, auch wenn diese aus Symbolwelten an die existierende Natur und deren natürliche Sehweise aufs äußerste verwiesen-gebunden und nur in einem letzten Sprung entweder platonisch wiedererinnernd oder aristotelisch entelechetisch Natur überrunden durfte.

Das geht im die Renaissance interpretierenden Manierismus munter durcheinander, das Platonische durch Naturansicht innerlich erregter Schau eines in Natur Unvorhandenen oder das Aristotelische eines Ersehens von Intentionalitäten in der Natur selber, zu denen sie, die Natur, unterwegs sei. In einem Fall aber bleibt die Naturdarstellung des Künstlers der Natur unerreichbar, im anderen Fall handelt es sich um Naturmöglichkeiten, im strikten Sinn aber auch unvorhanden, wenigstens hier und jetzt, außer im Sehen und Darstellen des Künstlers. Und das war auch, was ins allgemeine Bewußtsein aus solcher Diskussion überging bis heute, als Grenze des Abbildens in der naturalen Mimesis, das Sehen des Künstlers, und diente auch noch, die traditionellen Kunstverfahren von der Photographie abzuheben. Die liefere ja nur das Sehen eines Apparats, als ob nicht Belichtungs- und Motivwahl soviel vom Künstler her in den Apparat einbrächten. So wollte man natürlichem Sehen immer wieder Wiedererkennen liefernde naturale Mimesis von der Kunst bis zum Überdruß, aber stets mit der Prise „Sichtweise des Künstlers“ und natürlich in Hinblick auf das Sichern leichten Genusses ohne platonische oder aristotelische Strenge. Derart schlug sich ausgefuchste Kunsttheorie im „Volk“ nieder, durchaus nicht unbedingt Ideal als das Beste einer Sache meinend, aber als das Innere und Innige, das noch dem Elend zukommen mag im Idyllisieren. Die Kunsttheorie hat wegen ihres Objektivitätsdrangs, selbst wo der im Subjektiven landet, mit diesem Drang nach unproblematischer Gestimmtheit wenig zu tun, außer sie nimmt sich wiederum diesen weitverbreiteten Umstand zum Thema. So gerät die Mimesistheorie anläßlich des Problems der Idealbildung bis in unser Jahrhundert hinein auf alles andere als auf die lässige und nachlässige Innerlichkeit, die ihre Nach-Lässigkeit als Tiefe empfindet. Was etwa, um von der Mimesistheorie in unserem Jahrhundert zu sprechen, vom notwendigen Überschreiten der Mimesis in der Mimesis durch die Darstellungsarbeit ins forschende Bewußtsein gebracht wird, das ist etwa bei Erwin Panofsky das Konstatieren eines Durchhaltens historisch-objektiver Symbolik und Symbolgeschichte, die mit mehr zu tun hat als mit der genialischen Innenschau des Künstlers: es geht darum, daß toskanische Landschaft etwa doch ein Topos von Passionsstation bleibt und so in etwas als objektiver Erfahrenheit mit Kunst entsprungene Zitation aufweisbar wird, statt genialische Vorstellung zu sein. Nicht allerdings, daß solches ein Beweis wäre für das Überwinden des Säkularisierens durch den Glauben, im Gegenteil, in der variierenden Zitation seiner Bildäußerungen wird er, der Glaube, viel stärker in Frage gestellt als durch simples Verlassen seiner Bildwelten.

Umgekehrt zu Erwin Panofsky hat die Mimesistheorie des Erich Auerbach besonders von der Kunst-Literatur her geklärt, daß die mittelalterliche Symbolik der Kunstdarstellung von der jüdich-christlichen Glaubenswende des Transzendenten aus heroischen Zonen in die Zone des Alltagslebens her trotz Verzichts eines Arbeitens mit naturaler Mimesis des Sehens voller Realistik sich zeigt, also abgesehen vom Erforschen des natürlichen Sehens naturale Mimesis des Wirklichen, wenn auch in Typologien statt Individuierungen betreibt. Alles hier Gesagte ist freilich generell orientiert am Vorherrschenden, was nichts besagt über die Vorhandenheit von Porträt und einzigartig erkennbarer Landschaft auch in der mittelalterlichen Kunst etwa. Wichtig ist nur, daß es schon auf genereller Ebene schwer wird mit einer klaren Trennung von Mimesis und Symbolik, Naturalität und Transzendentismus, Abbildlichkeit und Phantasie.

Mit solchen angedeuteten Erschwerungen im Hintergrund darf man allerdings doch sagen, daß die Sujets Landschaft, Porträt, Blumenstilleben und dem Verwandtes stärkst auf eine naturale Abbildlichkeit fürs Wiedererkennen drängen und so zu den abstraktiven Zügen unserer Kunstmoderne querstehen; das Querstehen ist hier zu betonen, weil es eben keineswegs Bezugslosigkeit meint. Es gibt abstraktive Landschaften und Gesichter, expressive und konstruktive, maschinisierte und geträumte. Aber was sie als diese formalen Kunstcharaktere an sich tragen, will eben weg von der einfachen naturalen Wiedererkennung zu Abstraktion, Expression, Konstruktion, Maschinisierung und Traumstruktur. Im Verhältnis zu diesen, aus Anlaß eines Landschaftlichen oder Gesichtlichen, ein- und mitgetragenen Mitteilungswerten gibt es selbstverständlich wiederum Wiedererkennen, aber dieses interessiert sich nicht mehr für das vorgegeben Landschaftliche oder Gesichtliche.

Während Pausers Landschaften und Gesichter noch immer das einfache Wiedererkennen einer in relative Kunstdauer versetzten Wirklichkeitsverdoppelung zu meinen scheinen, wo schon längst der Impressionismus solches in den bloßen beiherspielenden Anlaß seines Unternehmens zurückgeführt hatte. Auch verglichen mit anderen Intentionen noch abbildlicher Art geben sie sich schon zu ihrer Zeit relativ harmfrei. Hatte die Neue Sachlichkeit, so weit sie kritisch-realistisch war, sich auf das Unheimliche industrialisierter Landschaftlichkeit und Gesichtlichkeit gestürzt, sei es futuristisch begeistert oder der einkehrenden Glätte gegenüber reserviert, ja zum Wegbügelnden der Glätte gesellschaftlich oppositionell bis in den Protest hinein auch mittels unkarikatureller Karikatur, so scheint Pausers Kunst, soweit sie der Neuen Sachlichkeit technisch anhängt, zu idyllisieren im Verzicht auf Stellungnahme zugunsten einer angetanen Gestimmtheit in den verschiedenen Farben aus dem Sehen des Künstlers.

Die Fronten der Zeit, in denen die Werke entstanden, spiegeln sich wohl in den Verfahrensweisen, werden aber nicht bezogen oder gar angestoßen, selbst das Surreale oder magisch Realistische drehen die Traumstruktur oder die Struktur der Magie aus einer Auseinandersetzung mit Lebensverhältnissen ins Bild zurück, das nur wiedererkennend erinnern läßt an gehabte Erfahrungen und Eindrücke, ohne zu verletzen oder aufzurütteln, gar Verhalten zu provozieren.

Aber abgesehen davon, daß Idylle und gelassenes Erinnern zu den großen Interessen der Kunst gehören, alle Kunstphasen waren derart wesentlich begleitet, ob monumental orientiert oder gelassen, ob religiös oder sekulär, und keine Avantgardedestination der Kunst zu Provokation vermag diesen Bereich auszulöschen, abgesehen davon muß man, um Pausers Arbeit im Verhältnis zu ihrer Entstehenszeit richtig einzuschätzen, es versuchen mit der Frage nach einem Avantgardismus, der sich nicht blindlings in Provokation jener selbstverständlichen Art erschöpft, wie sie jede Kultur gleich einer Münze handelt. Peter Bürger hat in seiner „Theorie der Avantgarde“ zwar aus Gegenwartssicht den Begriff für die Kunst gebunden an die Tendenz, aus der Kunst durch die Kunst ins Leben zu wollen, zugespitzt oder ausgebreitet gar ins vergesellschaftete Leben, seit der originalen Romantik eine rege Tendenz, während späte Romantikableger genau das Gegenteil vorhatten. Eine direkt utopische oder direkt kritische Auslegung der Kunst, Spannungsbogen Ernst Bloch – Theodor W. Adorno, legt die Bürgersche Avantgardeauffassung, welche den Prozeß von Lebensreform zu Eingriff in die Politik auslotet, als Konsequenz auch sehr nahe.

Aber zunächst einmal ist der Gesamtprozeß Kunst reflexiv, wenn auch durch Praxissituation angestoßen und bis in unsere Moderne ständig aus reflexiven Schritten zu deren möglichen Expansionen übergehend, was die Reflexivität einer oberflächlichen Betrachtung zu verdecken vermag. Sie wurde ja erst und auf ganz verschiedenen Wegen in unserer Moderne zum Thema der Kunst selber. Alles Reflektieren geht aber an als Distanznahme zur praktischen Situation und entwickelt darin ihre eigenen Wege, die freilich wieder mit praktischen Folgerungen zusammenhängen. Doch wegen der notwendigen Distanznahme haben die praktischen Folgerungen hohen Verallgemeinerungsrang und sind deshalb unbedingt hoch problematisch zu verstehen, statt daß man da mit direkter Belehrung für das praktische Leben kommt. „An ihren Früchten sollt ihr sie (?) erkennen“, diese Forderung darf an Reflexivitäten am wenigsten gestellt werden, weil Früchte wenig Tage liegen und verderben, was nichts gegen ihren Baum besagt.

Etwa die reflexive Forderung nach haltbaren Letztbegründungen aus logischem Sinn war immer Propaganda fürs Rationalisieren der Lebenswelt. Wenn man nun letzte Konsequenzen, sprich Früchte eines Durchrationalisierens der Lebenswelt mit guten Gegengründen ablehnt, so besagt das keineswegs, daß das logische Unternehmen ein falscher Weg war, den man zu den Akten zu legen hätte, zu vergessen. Es war notwendig für das Einsehen seiner Unzulänglichkeiten bei Konsequenzmacherei nach hinten zurück wie nach vorn vorwärts. Und weil erst die Konsequenzmacherei die Unzulänglichkeit des logischen Unternehmens ausmacht, hat dieses in seinen Teilstrecken und Partikeln weiterhin problematisch recht. Es wäre ja die Konsequenzmacherei des Logischen, die besagt, aus kranken Wurzeln kämen allein kranke Pflanzen.

Die Reflexion geht also weiterhin ihre eigenen Wege, die nicht von einer unmittelbaren Gegenwartspraxis her meßbar und wertbar sind. Das widerspricht dem Bürgerschen Avantgardebegriff der Kunst, der so strikt wird, daß er schon der pop-art das Avantgardistische abspricht, weil sie trotz ihres Popularen für Ausstellungen, Galerien, Museen produziert habe, nicht für Einflußnahme aufs Leben. Oder vielmehr so: das Populare hätte dann gar nur eine Darstellungstechnik ausgemacht, die den Alltagsmenschen aus seinem Alltagsleben in den Kunstbetrieb hätte anziehen sollen, was einer Umkehrung des romantischen Originalmotivs gleichkäme. Wollte man derart dem Bürgerschen Avantgardebegriff in Kunst trotzdem entsprechen, müßte man eben konstatieren, daß es avantgardeorientierte Kunst nur eine ganz kurze Zeitphase lang gab, vom Beginn der Romantik bis in den Anfang der fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts. Und die Nichtavantgardisten der Späte dieser Phase wären dann gerade daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht die Zukunft der Kunst nach Veralten der Avantgarde zu eröffnen begonnen hatten. Solche „postmoderne“ Fragestellung ließe sich dann auch an das Werk von Sergius Pauser wenden.

Aber darum geht es nicht bei der Avantgardekategorie für Kunst. Das Wort kommt zwar aus dem Militärischen her, was unmittelbare Aktion und unmittelbare Praxis nahelegt, aber so wie es in der Reflexivität der reflexiven Kunst, in deren Debatten eingesetzt wurde der Breite nach, läßt es sich verstehen als Bezeichnung für den Sachverhalt ener ästhetischen Entwicklung gegenüber ästheticher Redundanz. Zwar steht auf der Seite von Bürgers Ansicht das uralte formallogische Argument, je enger die Definition einer Sachverhaltensbezeichnung gefaßt wird, um so genauer und zuverlässiger seien die Verständlichkeit und der Begriffsgehalt gesichert, während Erweitern von Begriffen zu Begriffsentleerungen führe. Doch wenn diese Weiterungen in Bestimmtheiten statt Beschwörungen erfolgen, kommt das genannte logische Argument überhaupt nicht zum Einleuchten. Hegel hat recht, der weitere Begriff besagt auch mehr und Anderes dazu.

Es gibt nun einmal den Sachverhalt, daß in der Menge produzierter Kunst ein Teil nur erreichte Kunstniveaus exekutiert, ein anderer Teil neue Niveaus einführt. Und diesen Sachverhalt des neuen Niveaus drückt das Wort Avantgarde gewohnheitsgemäß ganz schön aus, warum sollte man es fallen lassen oder einengen auf eine kurze Phase der Kunstgeschichte, wo es dann gerade das Verlassen der Kunst, wenn auch künstlerisch, bezeichnen würde und in die Rede vom Ende der Kunst einklänge. Allerdings zwei barbarische Folgerungen sind dabei zu vermeiden. Einmal darf man am wenigsten das Neue bloß als Neues hochjubeln, ohne nach seiner bestimmten Qualität zu fragen, und dann gar jenes Neue verlangen, das der Anschauung seine Neuigkeit möglichst umstandslos anbietet. Die semiotische Ästhetik etwa, durchaus kunstimmanent dabei bleibend und auf das Neue aus, hat das Bestimmen und Werten der Innovationen von deren Umgang mit den erforderlichen Redundanzen abhängig gemacht und so schon allein das bloße Neue ohne Umstand als Kunstwert abgelehnt. Zum anderen: Der entwicklungsästhetische Gesichtspunkt darf sich keineswegs aufschwingen zu einer eindimensionalen Fortschrittsideologie der Kunstgeschichte. Die Entwicklungen betreffen zwar auch die allgemeine Ebene der Kunstgeschichte, aber vor allem etwa das Lebenswerk eines einzelnen Künstlers selber, oder gar bloß Phasen darin bis ins einzelne Werk, oder sie betreffen den Umgang mit vorgegebenen Stilen, oder, will man nicht mehr von Stil reden, dann Kunstrichtungen, ebenso einzelne Techniken zusammen mit dem Lernen von Techniken aus anderen Produktionsgegenden, dann sind da die Motive, Sujets, Typen der Bilder, wie Landschaft, Porträt, Stilleben eben und so weiter. Und vor allem stehen wir stets vor innovierenden Anknüpfbarkeiten an das, was abgelaufen schien. Das originale Ereignis der Renaissance zeigt sich immer stärker als uneinmalig, wir müssen dauernd mit struktur-, wenngleich kaum formgleichen Renaissancen rechnen.

Es geht also um das Pluralisieren der Entwicklungs-Rhizome, würde man heute sagen statt der Entwicklungsstränge, die sich stets mit Linearität verwechseln, anders als die Entwicklungs-Rhizome, und daran ist etwas Richtiges. Nur über das Pluralisieren der Entwicklungsrhizome lassen sich das Avantgardistische und damit das Entwicklungsästhetische aus der Versuchung zu jeweiligen Gegenwartskatechismen befreien, welche, wenn auch ohne Ewigkeitslampe von Kunstwerten, doch dogmatische Ästhetik betrieben haben und betreiben, genau so wie umgekehrt ein Ablehnen von Avantgarde und Entwicklungsästhetik mancher „postmoderner“ Einstellung zu einer Verbotsdogmatik gerät. Selbst dann, wenn generös das geschichtliche Gewicht von Avantgarde und ästhetischer Entwicklung eingeräumt würde, aber so als könne man das jetzt und hier für abgeschlossen erklären. Das hatte schon vor aller Postmoderne der Posthistoire-Denker Arnold Gehlen in seinem Kunstbuch „Zeit-Bilder“ verkündet 1960: Die Kunstentwicklung habe alle ihre vorstellbaren Möglichkeiten ausgeschöpft und könne sich in Zukunft nur wiederholen.

Dem entgegen geht es im Avantgardeproblem um eine Relativitätstheorie entwicklungsästhetischer Art, die besonders fürs Vergangene in Hinblick auf seine Interpretationsmöglichkeiten und Anstöße zur Interpretationsgegenwart aus Gegenwart heraus umwertende Einschätzungen eröffnet. Damit hat Kunsttheorie stets zu tun, zuvor etwa führte der Impressionismus Heinrich Wölfflin zum Bruch mit der seiner Zeit gängigen Ansicht, Barock sei bloß eine Fehlentwicklung der Renaissance, bei Erwin Panofsky war es der Surrealismus, der ihm den Manierismus anders erscheinen ließ denn als technische Fertigkeit nach Ausklang der Renaissanceideen, und weitere Umwertungsgeschichte gibt es aus Gegenwarten heraus.

Und es geht im Avantgardeproblem darum, das Avantgardistische keineswegs an den großen Paukenschlägen mehr zu messen. Jede sofort ins Auge springende Innovation zeigt sich als ein Anstoß, der sich ausführen möchte. Wenn man nun aber nur die sofort erfaßbare Innovation noch als solche zählt, dann entsteht in der Tat eine Beschleunigung des Verbrauchsprozesses von Einfällen und Möglichkeiten, die man Verschleiß der Ideen und Macharten nennen muß. Solche Überlegungen wollen im Namen einer Relativitätstheorie wiederum nicht die großen Paukenschläge ablehnen, also die Aufbrüche und Kehren der Kunstproduktion, die in ihrer Feststellbarkeit kaum lange fackeln lassen und schnell Namen erhalten, um dann in besonders mit Ungleichzeitigkeit geladenen Atmosphären wie der Wiens als modisches Spektakel oder als eine aus der Theorie geborene Kopfkunst beschimpft und verdächtigt zu werden. Sicher, die Theorie schlägt schneller, stärker und leichter aus bei Aufbrüchen und Kehren denn beim Ausführen und Durcharbeiten in der Kunst, wogegen es dann der Soliditätsgeruch des Ausführens und Durcharbeitens bequem hat, die einschneidenden Einfälle für zu schwach gewogen, zu konzeptionell zu deklarieren, zudem steht hier deutsches Arbeitsethos wertend ins Haus. Aber man kann da von der Avantgardefrage her nicht gewichten, sonst landet man entweder in Konservativismus oder in der die Wertungs- wie Klassifikationsnamen durcheinander purzeln lassenden Trendsetterei. Dem hoch Determinierten noch eine Neuerung abzumarkten zeigt sich der Schwierigkeit nach vergleichbar dem Entwickeln oder Einfallenlassen neuer Determinationsmöglichkeiten im Ansatz.

Wie verhält sich nun das Lebenswerk von Sergius Pauser zu den Erwähnungen? Von lebensreformerischem Elan und Engagement, schon gar politischem im Sinn der Surrealisten waren weder seine Arbeit noch er selber im mindestens durchdrungen. Einer Bürgerschen engen Avantgardesicht selbst noch von Jugendstil-Angewandtheit und deren neuer Ornamentik war er ganz fremd, er stand noch nicht einmal dagegen. Aber eben diese Enge der Avantgardesicht hat sich dann ja als das erwiesen, was man wegen der Kürze seines Vorübergangs mit dem umgangssprachlichen Wortbild einer Eintagsfliege zu belegen vermag. Selbst sein Auftauchen im Vorübergang ist schwierig zu ergründen. Sollte es die so genannte krisengeschüttelte Entfaltung des Kapitalismus gewesen sein? Von Instabilitäten „geschüttelt“ zeigt sich unsere weltgeschichtliche Gegenwart wieder besonders. Und gerade Kunst vermag nun nichts mehr zu durchleuchten oder zu engagieren, wenn es um die groben Fronten der Konflikte geht, außer in einer politisierenden Folklore mit Kreuzes-Halbmond/Halbmond-Kreuzes-Ornamentik, wenn man an den Zerfall politischer Systeme des Ostens denkt. Mit solcher politischen Folklore hatte Pauser zuvor schon nichts zu tun, obwohl sie zu seiner Zeit auch sehr wohl am Werk war. Zu sehr orientierte er sich an den internationalen Niveaus der Stile und Verfahren von Kunstproduktion, ob Impressionismus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit mit surrealen Überdeutlichkeiten realer Auffaßbarkeit. Und das ist ja wohl, um noch einmal eine aktualisierende Randbemerkung zuzulassen, daß entwiklungsästhetisch orientierte Kunst, wie postmodern vorsichtig relativiert auch immer, internationale Perspektive im Auge hat, wenn auch sie regional aufladend. Internationale Perspektive hat es mit dem Zugang zu heutigen Konflikten so schwer, weil diese gerade auf der Erscheinungsebene von einem Gestern zu sein scheinen, das schon der Avantgarde der Pauserschen Lebens- und Arbeitszeit und Pausers Arbeit selber ein Gestern war von der internationalen Orientiertheit her. Denn es scheint ja im sich auflösenden Osten eine direkt politisch engagierende Kunst auf Kreuz-, Doppelkreuz-, Halbmondornamentik sich stürzen zu wollen im Parteienangebot mit Rückwirkung auf den Westen.

Doch mit Folklore, gar religiöser Folklore hatte internationale Orientierung nie direkt zu tun, selbst wo sie sich mit volkstümlichen Motiven auseinandersetzte. So schaue man sich Maskenbilder des frühen Pauser an, die Maske, ein volkstümliches Motiv gewiß. Als es in die Moderne unseres Jahrhunderts kam, aus der es Paser aufnahm, zeigt es sich einmal als das Zitieren einer Exotik aus dem Blick des 20. Jahrhunderts im Abendland, Völkerkundliches war damit weniger gemeint als das Sichbeibiegen exotischer Motive zu abendländischer Geste aus Eurozentrik, und die Kunst hat das durch rhetorische Struktur der Zitation ironisiert. Der andere Intentionsweg der Maske ging auf den Rollenmenschen und die Menschenmaschine, die in der Maskierung je angekündigt war als Möglichkeit. Ein Drittes trat hinzu: Die Melancholie des Unernstes, das Ablegen und Weghängen der Maske in den Theaterfond, und doch ist man getrieben, sie wieder- und wiederanzulegen, nicht zuletzt auch in den Zwängen des Vergnügens. Der Pierrot, der Harlekin, sie können nicht von sich lassen und halten es nicht bei sich aus.

Pauser hat das Maschinelle und Rollenhafte sinnenfällig gemacht durch das sorgfältig neusachliche Behandeln der Fläche zu Flächen im Raum und hat dadurch das Wesen der Maske in ihrer Ablegbarkeit wie Anlegbarkeit, in ihrer Zwischenexistenz zwischen beiden Möglichkeiten zum Extrem herausgetrieben. Seine Maskenbilder sind auf Wegen neusachlicher Malweisen, die als Malweisen, wenn auch nicht motivisch, mit dem Neoplastizismus zu tun haben, die Frage: Befinden sich die Masken samt ihren Kostümenin Angezogenheit kurz vor der enträtselnden Ablage oder in Abgelegtheit kurz vor dem wählenden Anzug? Folklore aber glaubt plappernd und fühlig denMasken, geht mit ihnen bedenkenlos um, bedenkenloses Glauben wie Fühlen stellen keine Fragen. Pausers Härte der Maskendarstellung gehört zum fragenden Wesen, seine Masken taugen zu keinem Karneval oder Fasching, über Neoplastizismus neusachlich gewordene Darstellung steht einem Mitmachen des Ritualzitats entgegen. Das ist das Entscheidende, wo auch in den Kakteenbildern das Maskenthema sich mit dem Landschaftsthema mitten im Doppelfenster der Vitrine begegnet und so den Kaktus als die Verwirklichung des Maskenhaften im Pflanzlichen erscheinen läßt mit der voluminösen Starre, der scharfen Konturiertheit. Und das Fenster selber zwischen Einblick und Ausblick entwickelt einen einsehbaren Raum in sich dank der Härten und Klarheiten von dunkelnden Schattenwürfen, die die Aussicht überspielen.

In seiner neusachlichen Phase geht es Pauser eben nicht um neusachliche Anliegen, sondern er arbeitet an impressionistischen Problemen mit neusachlichen Verfahren. Dabei meint die Rückkehr der Lokalfarbe am wenigsten Materialisierung des Dargestellten statt dessen Auflösen in die Lichtstreuungen, vielmehr geht es um Gleit- wie Hemmflächen des Lichts und homogene Transparenzen wie Reflexionen, impressionierend. Zugleich wird durch das Impressionieren der Lokalfarben die Magie der Schärfen etwa bei Franz Radziwill vermieden, in der die Bedeutsamkeit, das Gewicht der Dinge und Instrumentarien zurückgekehrt wären, während Pauser das Lichtereignis auf den, an den Flächen im Raum verfolgt. Damit steht er auch in Nähe des Neoplastizismus, soweit es dem um Raumwirkungen reiner Farbflächen geht. Von dem hält ihn dann aber das Bevorzugen der dunklen, abgetönten Farben ab, um zu den minimalen Raumwirkungen der Farben zu gelangen über die auffallenden hinaus. Seine Figuren, ob Pflanzen, Menschen, Meubleage, sehen daher offensichtlich an der Grenze zu einer Klappbarkeit, die gerade eben vermieden ist. Man müßte unter den hier angezeigten Gesichtspunkten von einer impressiven Sachlichkeit sprechen, die sich von der neuen unterscheidet, doch derart ein ganz neues dem Impressionismus abgewinnt und im selben Zug das der neuen Sachlichkeit zugleich mit dem Neuen einer minimalisierten Neoplastizität.

Im folgenden geht Pausers Arbeit wieder zur impressionistischen Auflösung der Farbflächen über mit expressionistischem Akzentuieren durch Farbzeichnen. Aber den Verschub seines Interesses vom auflösenden Zerstrahlen des Lichts im Impressionismus zu den reflektorischen Hemmungen des Lichtmassen, zum Verzehr des Lichts in dem Beleuchteten nimmt er mit. Und das in seiner Neoplastizität schon entwickelte Dunkeln, Abdunkeln der Farben gegen ihr Leuchten und Glänzen, gegen ihren Deutlichkeit als Raum großer Abstände erwirkenden Faktor in der Darstellung, - um der sich klein machenden Abstände willen. Breite Variationen der Farben des Tau- und Harschschnees, der Farben dunkler Erden, Hölzer, Steine, Verputze, die noch düsterer sich ausmachen, wo sie hin und wieder einmal von leuchtenden Farben durchzogen und durchwachsen werden, selbst Fleischfarbigkeit „prallen Lebens“ wird ins Fleckige fortgemalt, das alles bringt in die Kehre zum Impressionismus diesem eine von ihm selber nicht gekannte Melancholie ein, die Pauser aus seiner neusachlichen Arbeitsweise überträgt: Die Melancholie des Aufsuchens von Lichtereignis, Lichtfluß, Lichtbahn an den allmählich differierenden Grenzen zur Dunkelheit, einem Zustand, wo das Licht in einem großen Dunkeln, vom Zustand zu unterscheiden, sich entereignet, entfließt, entbahnt.

Melancholie hat ja nichts mit der Depressivität zu tun, die kommt in Schüben, während das Melancholische alles ständig durchfädelt und durchhangelt und durchzieht ohne Schübe des Mehr oder Weniger. Und Melancholie trotz ihrer Dauer läßt sich nicht verwechseln mit Traurigkeit, gar Trauer, ihr fehlt die verkehrende Lust des Auskostens von Unlust ganz, ihre Stimmung ohne Erregtheit bezeichnet Gelassenheit an der Grenze zu steter Langeweile, die zugleich in nervöser, aber unernster Streuung wie Zerstreutheit zuckt. Gelassenheit als der Stimmungsschleier über dem Bewußtseinszustand einer sich zerstreuenden Aufmerksamkeit nach allen Seiten der Möglichkeit, das wurde ja stets dem Schlüsselbild der Melancholie von Albrecht Dürer interpretativ zugetragen, zusammen mit der objektiven Seite dessen als einer Welt erscheinenden Gerümpels, in der das Methodische mit seinem Instrumentarium aber hoch raffinierte Labyrinthe aufdeckt und konstruiert, solange es eingreift, begleitet freilich, in Eingriff wie Verzicht auf ihn, von Langeweile als dauernder Bereitheit finde- und konstruktionspotenter Fahrigkeit, (vgl. zu Melancholie und Langeweile Thomas Wimmer in Katalog documenta 10, 1992).

Wer nun einmal gründlich Pausers Wurstelprater- und Friedhofbilder am Übergang zur Impressionsmuskehre (1929/30) angeschaut hat, der kann auch in seinen Alpenszenerien, seinen Paris- und Istanbul-Ansichten, seinen Blumenstilleben und Porträts von später sich nicht dem Dazwischen zwischen Schleier der Gelassenheit und nervöser Zerstreutheit, dem Dazwischen zwischen Gerümpel und Zugängen zu raffinierten Labyrinthen entziehen. Dieses Dazwischen macht den Ort, den auch die späteren Bilder darstellen, den Ort der Melancholie, nicht von Depression und Traurigkeit. Und solcher Ort eint das Werk von Pauser zu seiner Topologie zwischen verdunkelndem Licht und aufhellender Schwärze, in der Licht wie Schwärze fehlen. Noch und schon die Wurstelpraterbilder stellen das Leiden am Leistungszwang des Sichvergnügensmüssens dar in den Peripherien dessen, wo das wegzukippen bereit ist und schon wieder zurückkehrt, Karussells wie Riesenradanlage bei Pauser verweigern den Wunsch,  sie zu betreten ebenso, wie sie den Blick des Zuschauers nicht loslassen. Vor ihnen wird der Betrachter zum Meta-Zuschauer, das heißt zum Zuschauer des Zuschauens, Teilnahme ausschließend, Weggang verweigernd: Melancholie des Motivs- Melancholie der Malweise. Ihr legt sich über das zu Sehende allerorten, aller Richtungen jener „Schleier der Schwermut“, den der romantische Philosoph schlechthin, Friedrich Schelling in seiner späten Phase, über die Natur gebreitet sah und von dem er sagte, er zeige an die „tiefe unzerstörbare Melancholie“ alles Lebens.

Gewiß keine Nazimalerei, wenn auch Nazis sie aus lauter Mißverstehen bisweilen goutiert haben, Ihr Mißverstehen richtete sich auf die durchgehaltene Gegenständlichkeit der Malmotive, sie erkannten wieder, was sie wollten. Sie erkannten aber nicht den Sinn der Pauserschen Kunst. Da ist einmal das seit einigen Jahren umlaufende Argument der Frage am Platz, was ein Künstler für die könne, die ihn schätzen. Und organisatorisch hat Pauser ohnehin nicht dazugehört. Um dieses Argument nicht zu legitimatorischen Decken einer in Gewaltsystemen opportunistischen oder gar propagierenden Kunst verkommen zu lassen, muß man sich an Sinncharakter und Techniksinn eines Künstlerwerks halten. Der Sinn des vorliegenden Pauserwerks ist frei von Heroisieren, Monumentalisieren, Klassizieren und ebenso frei von der anderen in totalitären Systemen so gewünschten Komponente des Künstlerischen: dem Idyllisieren. Nur ganz Oberflächliche können Porträt schon für monumentalisierenden Heroismus und Landschaft für Idylle nehmen. Melancholie kennt keine Helden, siehe Dürer, sie kennt kein Beschwören der Totale klassischer Ordnungen (siehe Dürer), sie kennt keine Sehnsucht, in die Bilder einzutreten, um dort das sonst verweigerte Glück zu erahnen in egal denselben Träumen, die man Idyllenbildern zuzuschreiben gewillt ist auf Vertröstungssuche.

Melancholie stand zwar selten an Spitzen von Protesten gegen Totalitarismen und fürs Neue. Aber sie ist aufs äußerste bei Gelassenheit wie Zerstreutheit, bei Gerümpel wie genauem Labyrinth und umgekehrt untotalitär und bereit für Neue, obwohl sie es für das Unwahrscheinliche hält, anders als die Novum-Fanatiker. In ihrer zerstreuten Gelassenheit sieht sie vorerst überall Vergleichlichkeit und beginnt dann erst ihre fragmentarisierende Arbeit am schwerlich erwartbaren Neuen. Pauser hat vorgefundenen Arten der Kunstproduktion, die schon recht ausgegriffen hatten, durch deren Ineinander-Querung Neues abgewonnen, dem Impressionismus die Melancholie, der neuen Sachlichkeit ein Impressives, beiden zusammen das Auffassen des Lichts und der Farben von ihrem Auffangspiel an den Grenzen der Schwärze her, dem Neoplastizismus die minimalisierende und dadurch gerade tiefende Raumwirkung sich naher Farben. Er gehört zu den Künstlern, die sich auflehnen gegen den raschen Verschleiß der Entdeckungs- und Produktionsweisen durch Innovationszwang, ohne mit dem Zwang des Verlangen nach Innovation preiszugeben.

Dadurch wäre es gerade heute aus postmoderner Atmosphäre wieder neu zu verstehen, indem sein Werk mit der Frage zu hat: Was sei gewichtiger, dem schon recht ausführlich Ausgearbeiteten noch ein Neues abzugewinnen oder mit Permanenz des Traditionsbruchs Sprünge in scheinbar anschlußlos Neues zu machen. Die Antwort freilich auf diese Frage muß zu einem Weder-noch oder Genaus-wie hinauslaufen. Gerade innerhalb eines Kunstprozesses, in dem die große Pauke der großen Sprünge wirkt, wird erst Pauserscher Avantgardismus des unwahrscheinlich Neuen an den Grenzen des Entwickelten notwendig mit seiner beharrlichen Bereitschaft zum Wiederaufnehmen von Liegengelassenem und dem querenden Ausarbeiten der Anstöße. Das eine verweigert sich nicht dem anderen, selbst wenn man gegenüber dem Jubel zur Wiederauflage eines „alt-meisterlichen“ Produzierens von Kunst, wie es Pausers Arbeit eine Experimentalphase lang bestimmte, mißtrauisch bleibt. Wird das Altmeisterliche selber zum Wert, ohne daß es Einsichtsgewinn hervorbringt, dann zeigt es sich schlicht kunstkonservativ.

Aber an Pausers Motivwahl alter Sujets schon: In Landschaft, Porträt, Stilleben tritt ein Anderes auf als Festhalten am alten Sujetsinn. Die genannten Themen verdanken ja zunächst ihre Bildeigenständigkeit dem neuzeitlichen Rationalisierungsprozeß der Arbeitsteilung, wie das die einzelnen Künste überhaupt tun. Dazu transportiert ihre requisitengeladene Bühnenhaftigkeit als Prospekt für Ereignisse ohne Ereignisse bis in die Gesichtslandschaften und Körperhaltungen hinein eine Verfügbarkeit für den Betrachter, die dem Verfügbarmachen der Welt für und durch den Eurozentrismus entspricht. Aber es macht ja nur Spießerspaß, die ereignislosen Bühnenbilder aufzufassen als betretbar den eigenen Sehnsüchten entlang, und dem Porträtierten könne man geradezu die Hand geben, die Blumenvasen versetzen. Gerade indem Pausers Arbeit den verschiedenen Prospekten die Melancholie einträgt ohne Trauer oder Depression, versperrt er die Prospekte solcher Verfügungslust und bringt derart eine kritische Wende gegen das Idyllisieren von Mensch wie Natur und deren Environments durch Kunst. Seine Wahl alter Sujets unterläuft noch einmal deren Verbrauchtheit als Sujets, als Probleme halten sie ohnehin durch bis in unsere Gegenwart. Pausers Avantgardismus ist anders denn als der große Sprung zu verstehen und heute wiederum ganz aktuell als einer des Differentialisierens der Differenzen, welches, durchaus seinem mathematischen Sinn entsprechend, im angestrengten Verundeutlichen das Seine genau festhält. 

Aus dem Katalogtext zur Ausstellung Sergius Pauser der Österreichischen Galerie, Belvedere, Wien, 1996